Stand Miriam Jung Friends with Books 2019 |
Barbara Buchmaier: Liebe Miriam, ich kenne Deine Fotografien vor allem aus Deinen Publikationen, wie Du sie seit einigen Jahren regelmäßig auf Berliner Kunstbuchmessen zeigst. Was war für Dich generell das entscheidende Moment oder der Auslöser, um selbst zu publizieren, um eigene Fotografien in Heft- bzw. Buchform zu zeigen? Gab es bestimmte Vorbilder oder eine bestimmte Beobachtung, die Dich dazu inspiriert hat – 2012 hast Du ja damit angefangen.
Miriam Jung: Nachdem ich die Kamera einige Jahre verbannt hatte, begann ich 2010 wieder zu fotografieren und habe erst mal mit Inhalten und Formaten experimentiert. Ich hatte angefangen, mit männlichen Modellen zu arbeiten und ging auch in die Dunkelkammer, aber konnte mir nicht vorstellen, die Abzüge in einer Ausstellung zu präsentieren – also mit der Wand als Ausstellungsfläche zu arbeiten. So kam ich ohne konkrete Vorbilder zum Buchformat, das mir die Möglichkeit gab, die Intimität des Ateliers in den Buchraum zu übertragen.
BB:
Wie bezeichnest Du Deine Publikationen? „Künstlerbücher“ (artists’ books)? Oder
benutzt Du auch andere Wörter dafür?
MJ: Ich benutze all diese Wörter:
Publikation, artist’s book, Künstlerbuch, Edition. Meistens sage ich jetzt
einfach nur Buch oder „meine Arbeit“. Einzig das Wort „Katalog“ benutze ich
nicht, denn darum handelt es sich eben ganz klar nicht.
BB:
In welcher Relation stehen die Fotografien, wie man sie in den Publikationen
sieht, zu den physischen (Baryt-)Abzügen, die es ja oftmals auch davon gibt?
MJ: Die Barytabzüge interessieren mich
erst mal als Einzelbild. Sie bieten einen Bildraum mit tiefen Schwärzen und
Gradationen der Körnung, der beim Druck (insbesondere, wenn man auf die Kosten achten
muss) verloren gehen kann. Dagegen kann ich im Buchformat das große
illusionistische Potenzial des Fotos für eine ganz neue Erzählung nutzen, was
mir extrem viel Spaß macht!
BB:
Das Buch als alternative Form der Ausstellung – Exposition – funktioniert ja
unter ganz anderen Bedingungen als ein dreidimensionaler Ausstellungsraum. Das
Buch-Machen ist ein ganz anderer Modus des (Sich-selbst-)Präsentierens und -Kuratierens,
des Bereitstellens der Bilder für die Betrachter/innen. Was interessiert Dich
daran?
MJ: Alle Prozesse
der Produktion, Publikation, Distribution und Vermarktung eines Buches übernehme
ich erst mal selbst. Diese Arbeitsbedingungen sind prekär, aber sie bieten ein
hohes Maß an Autonomie und künstlerischer Freiheit. Alle
Formate, die ich verbinde (Buch, Fotografie und Druck), sind mit Konventionen belegt,
die ich berücksichtigen oder erweitern kann. Vieles dreht sich bei mir um „Raum“,
den ich mir eröffne, nehme oder zur Verfügung stelle. Das Buch ist insofern meine
Ausstellung (und nicht der Katalog zur Ausstellung), die ich den Betrachter/innen
mit nach Hause geben kann.
BB:
Zu Deiner Vorgehensweise: Entstehen Deine Ideen für Fotografien und diese
selbst denn immer schon für eine bestimmtes imaginiertes Buch- oder
Ausstellungsformat – oder erst mal davon unabhängig?
MJ: Am Anfang stehen das Fotografieren
mit der Kamera (analoge Spiegelreflex oder Handy) und die Suche nach einem
Bild. Dieses Bild übernehme ich in der Regel vollständig und arbeite kaum mit
Bildausschnitten. Das Bild entsteht erst mal als Einzelbild, an dem mich etwas
interessiert, das zum Zeitpunkt der Aufnahme vielleicht etwas ganz anderes ist
als später, wenn ich es auswähle und für ein Buch oder einen Papierabzug verwende.
BB:
Dein fotografischer Ansatz scheint mir immer auch eine Art der (im Ansatz
vielleicht romantischen oder auch ethnografischen) „Selbsterkundung“ zu
beinhalten. Als würdest Du dir Fragen stellen wie: Wie weit kann ich gehen, wer
bin ich, wenn ich selbst die Kamera in der Hand habe? Was traue ich mich, wie
weit lassen andere das zu? Dies frage ich vor allem in Hinsicht auf Deine
Publikationen wie Looking At (2016),
in denen Du SW-Fotografien von nackten Männern zeigst ... Wie überhaupt kam die
Annäherung an das andere Geschlecht zustande? Und wie hast Du sie umgesetzt,
auch technisch ...?
Cover von Looking At (2016)
|
MJ: Ich hatte angefangen, mich für
männlichen Akt zu interessieren – was er kulturell repräsentiert und vor allem,
wie er auf mich wirkt – und hatte dabei verstärkt das Gefühl, dass diese
Darstellungen nicht für mich, für mein Empfinden oder meinen Blick geschaffen
wurden. Innerhalb der Kunstgeschichte ist dabei auffällig, wie sehr der Penis
tabuisiert und vom Phallus ersetzt wurde. Außerhalb der Kunst, in den Bildwelten
von Kino, Pop, Werbung und auch in schwul kontextualisierten Magazinen hatte
ich denselben Eindruck gewonnen. Ich bin also mit einem großen Fragezeichen ins
Atelier gegangen: Wie entsteht ein Bild für mich, eines, das mich anspricht und
meinem Blick entspricht?
Ich arbeite mit Männern zusammen, die
sich im wahrsten Sinne sehr wohl in ihrer Haut fühlen und diese gerne zeigen.
Ich schaffe im Atelier einen Raum für einen Dialog zwischen dem Modell und mir
(keine Assistenten, natürliches Licht), bei dem sich das Modell nackt und üblicherweise
tiefenentspannt meinem Blick zur Verfügung stellt und ich mich, bekleidet und
hinter der Kamera, suchend vorantaste. Ich arbeite mit 50mm Festbrennweite, die
nur einen geringen Schärfebereich bietet. Die Fotosession ist ein Gespräch,
aber auch ein sehr physischer Akt. Nichts an dieser Konstellation erscheint mir
bislang als „normal“ und ich bemerke meine eigenen Konditionierungen und
Grenzen. Ich empfinde es als eine sehr machtvolle Position, „eines Menschen
Bild zu nehmen“ und frage mich immer, wieweit ich gehen kann.
Innenseiten von Looking At (2016)
|
BB:
Wie waren die Reaktionen auf diese Publikationen? Zum Beispiel, als Du sie an
Deinem Tisch auf der Friends with Books
gezeigt hast? Welche Fragen kamen da?
MJ: Fast alle Bemerkungen bezeugen eine
große Intimität und Sensibilität der Fotos. Nicht selten kommt dann die Frage,
ob ich mit den Modellen Sex habe oder woher oder ob ich sie näher kenne. Manche
Männer äußern sich spöttisch, selbst Künstlerinnen und Künstler aus meinem
Bekanntenkreis fragen auch schon mal, wie mein Partner das wohl so alles
findet. Frauen freuen sich, dass die Fotos von einer Frau gemacht wurden, hin
und wieder sind es Künstlerinnen, die selbst mit männlichen Modellen arbeiten.
BB: In
Deiner 2019 auf der Friends with Books
präsentierten Publikation sieht man wieder SW-Fotografien.
Diesmal hast Du dich selbst als
Spiegelung im Bildschirm fotografiert, der jeweils Standbilder von amerikanischen
Kino-Produktionen wie American
Gigolo (1980), American Psycho (2000) oder auch der TV-Serie Sense8 (2015–2018) zeigt. Oft verschwimmen dabei Teile Deines
Körpers oder Deines Umraums mit dem des männlichen Protagonisten bzw. dem
Filmset. Wie kam dieses Konzept zustande und was sagt Du den Betrachter/innen
und dir selbst mit dem Titel the
aesthetics of narcissism (2018), den Du von dem gleichnamigen Aufsatz
der amerikanischen Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss (veröffentlicht 1976 in
der US-Zeitschrift October) übernimmst?
Innenseiten von the aesthetics of narcissism (2018) |
MJ:
Wie meistens kamen auch hier verschiedene Einzelteile zu einem neuen Ganzen
zusammen. Die Fotos gehören zur Reihe Man
In My Mirror (2018), die ich auch schon als gerahmte Barytabzüge gezeigt
habe. Den
Titel von Rosalind Krauss habe ich mir humorvoll angeeignet. In ihrem Artikel
kritisiert sie, sehr verkürzt dargestellt, Positionen wie beispielsweise die
von Vito Acconci, die mit Video-Feedback arbeiten und eine Gleichzeitigkeit von
Aufnahme (des Künstlers) und reproduziertem (Selbst-)Bild herstellen als
geschichts-vergessen und narzisstisch, gefangen im Loop. Sie wirft ihnen vor,
das neue Medium nicht wegweisend sondern althergebracht (ebenso narzisstisch wie
Malerei) zu verwenden. Ich jedoch betrachte den Blick in den Spiegel, der in
meinem Fall ein Computerbildschirm ist, als eine adäquate und zeitgemäße
Befragung von Welt, und die Vieldeutigkeit, die in den Überlagerungen von Zeit-
und Raumebenen entstehen, als großartigen visuellen Schatz. Das Buch, in dem
auch ein Screenshot, Handyfotos und Fotos von Fotos aus der Dunkelkammer zu
sehen sind, ist für mich daher auch ein „Selbstportrait als Fotokünstlerin“ – aber
das ist nur eine Lesart von vielen.
BB:
In Hommage à L’Interrogation (2015) hast Du Deinen Fotos zum ersten Mal direkt Text
zugeordnet. Bis auf die Impressen und Deinen eigenen Text in Wanderlust (2014), der, wie die Fotos, im Kontext einer Kanada-Reise
entstanden ist, sind Deine Publikationen ja sonst bisher immer reine „Bilderbücher“. Für Hommage à L’Interrogation hast Du eigene Handyfotos von gebrauchten, auf die Straße entsorgten Matratzen (und die oft daraus entstehenden Stillleben) aus dem Berliner Stadtraum mit einer abgewandelten Textarbeit von Lea Lublin (1929–1999) aus dem Jahr 1978 kombiniert. Anders als Lublin, die mit 25 Fragen eine “L’interrogation de la femme” betreibt, hinterfragst Du den Mann. Wie kam es dazu? Und wie gehst Du bei der grafischen Umsetzung vor?
Innenseiten von Hommage à L'Interrrogation (2015) |
MJ: Lea Lublin hat damals mit allen
möglichen „Befragungen“ gearbeitet und ich fand ihr Stilmittel, sehr komplexe Themen
mit Ja-oder-Nein-Fragen zu untersuchen, bestechend gut und zeitlos aktuell. Es
ist eine Falle, in die man bereitwillig hineintappt, um dann zu bemerken,
welcher Sprengstoff in der Frage steckt: Ist der Mann ein soziales Opfer? Ja!
Nein! Ich wollte das Layout einer Zeitungsbeilage wie dem SZ Magazin aufgreifen und die Verbindung zwischen Überschriften und
Fotos übernehmen, die beim Blättern sofort hergestellt wird. So wird die
Matratze im Bild unwillkürlich zum „Mann“ und spielt mit den erwartbaren
Assoziationen. Die Auswahl der Schrifttype fand ich sehr schwierig, weil in ihr
die ganze lange Geschichte des (Zeitungs-)Drucks mitschwingt. Während ich
üblicherweise allein an der Gestaltung arbeite, war es hier die Grafikdesignerin
Lisa Pommerencke, die Layout und Schrift übernommen hat.
BB:
In Deinem aktuellen Projekt, das Du mir als Entwurf am Rechner gezeigt hast, sind
SW-Fotografien verschneiter Straßen und Stadtlandschaften zu sehen, die Du mit
einem Zeitungstext über ein Verbrechen und die Suche nach dem oder der Täter/in
verknüpfen willst ...?
MJ: Der Arbeitstitel des Buches lautet offene Enden. Der reißerisch
geschriebene Text erzählt von einer jungen Frau, die wortlos ihre Familie und
ihr Umfeld verlässt und nach Jahrzehnten durch einen Zufall wiederentdeckt wird.
Den Text kombiniere ich mit Fotos (Doppelbelichtungen, teilweise
Selbstportraits), fotografiert in einer Zeit, in der ich im selben Alter war und
in derselben Region in Deutschland gelebt habe wie die beschriebene Person.
BB:
Du erwähntest die französische Autorin Annie Ernaux (* 1940), die sich als
„Ethnologin ihrer selbst“ bezeichnet und in den letzten Jahren unter anderem
mit Die Jahre (2017; franz. Original:
Les années, 2008) als „autofiktive
Autorin“ endlich auch in Deutschland sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Auf
welcher Ebene fühlst Du dich ihr verbunden?
MJ: In Die Jahre erstellt
Ernaux Bildbeschreibungen von Fotografien, auf denen sie selbst abgebildet ist,
und setzt sich von einem „Ich heute“ ins Verhältnis zu dem abgebildeten „Ich damals“.
Die Fotos dazu erscheinen aber nicht als „Beleg“ im Buch und es ist unklar, ob
es sie tatsächlich gibt. In offene Enden
zeige ich Fotos, die den Bericht über eine wahre Begebenheit untermauern und
verstärken. Es wird jedoch wohl nie ganz geklärt werden, was ich mit der Sache
zu tun habe ... Als „autofiktive Autorin“ würde ich mich auch selbst
bezeichnen.
BB:
Soweit ich verstanden habe, soll diese Publikation aufwendiger gestaltet werden
als die bisherigen ... Wie planst Du, dies umzusetzen? Hast Du eventuell vor,
an Verlage heranzutreten?
MJ: Ich denke seit diesem Jahr erstmals darüber nach, mit
einem Verlag zusammenzuarbeiten und bin bei der Friends with Books mit einigen Verleger/innen ins Gespräch
gekommen, deren Programm ich für mich passend finde. Gleich welcher Verlag,
würde dies allerdings nur mit einer Förderung gehen, die dann eine
umfangreichere Produktion, Auflage und ein neues Distributionssystem
ermöglicht. Ich möchte mich konkreter umschauen, wenn ich in Kürze den ersten
Dummy fertig habe!
BB: Vielen Dank für
unser Gespräch. Ich bin gespannt, in welches „Terrain Vague“ Du mit Deiner
Arbeit noch vordringen wirst. Viel Erfolg auch bei der Zusammenarbeit mit einem
Art-Book-Verlag.
Berlin, 10.01.2020
(Verschriftlichung
eines Gesprächs aus dem November 2019)
Barbara Buchmaier, * 1975, ist Kunstkritikerin und
Autorin und lebt in Berlin.
Miriam Jung, * 1976, ist Künstlerin und lebt in
Berlin.
Alle Fotos: © Miriam Jung
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