4 Fragen an Spector Books
Jan Wenzel im Gespräch mit Isabel
Podeschwa
Art in the Times of Democracy, hrsg. von
GfzK Leipzig 2015.
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Spector
Books wurde im Jahr 2001 von Markus Dreßen, Anne König und Jan Wenzel gegründet
und hat über die Jahre eine verlegerische Praxis entwickelt, bei der das
Zusammenspiel von Bild, Text und Typographie mit konzeptueller Genauigkeit und
Erfindungsreichtum Räume für komplexe Inhalte bereitet. Ihre Publikation
"Liner Notes" aus dem Jahr 2009 hatte für viele in das Produzieren
von Büchern Involvierte Manifestcharakter. 2010 initiierten sie die Messe unabhängiger
Verleger in Leipzig mit dem programmatischen Titel "It's a book, it's a
stage, it's a public space" und förderten die Idee des Büchermachens
jenseits kalkulatorischer und inhaltlicher Kompromisse. Spector Books arbeitet
mit vielen Akteuren aus dem Zusammenhang der Hochschule für Grafik und
Buchkunst Leipzig und gibt mittlerweile ca. 50 Publikationen im Jahr heraus,
die zu zwei Dritteln außerhalb des deutschsprachigen Raums verkauft werden.
Eure publizistische Praxis ist motiviert
vom Interesse an unterschiedlichsten Transformations- und
Übersetzungsprozessen: Auf formaler Ebene arbeitet Ihr an einer Auflösung der
Linearität des Buches. In Bezug auf künstlerische Arbeiten seid Ihr an der
Emanzipation des Buches von seiner repräsentativen Dienerschaft interessiert.
Im Prozess der Entwicklung setzt ihr auf ein anderes Verständnis des
Zusammenwirkens von Grafikern, Autoren, Künstlern, Verlegern und entzieht
diesen Beziehungen die üblichen Hierarchien. Sind das die Mittel, Lebendigkeit
herzustellen, die Ihr für das Buch fordert?
Immer
wieder haben wir das Büchermachen mit anderen Formen kollektiven ästhetischen
Produzierens verglichen: mit dem Theater und dem Film vor allem. Wir verstehen
die Arbeit an einem Buch als einen dialogischen Prozess, in dem unterschiedliche
Perspektiven, unterschiedliche Erfahrungen und Ansätze zueinander in Beziehung
treten. Bei dem sowjetischen Literaturwissenschaftler Michail Bachtin findet
sich der Hinweis, dass es falsch sei, Bewusstsein nur im Singular zu verwenden,
denn der Erkenntnishorizont weitet sich durch die Verschränkung
unterschiedlicher "Bewusstseine". Bachtin arbeitet das an den
dialogischen Romanen von Fjodor Michailowitsch Dostojewski heraus. Für uns ist
ein Verlag der Ort eines solch dialogischen Produzierens. Und das Buch ist ein
Medium, in dem sich ein solcher Arbeitsprozess artikuliert: in seiner Form wird
der Aufeinanderprall dieser verschiedenen Perspektiven manifest – ablesbar. Das
wäre das, was wir als Lebendigkeit bezeichnen würden.
Die Protagonisten Eurer Publikationen, die Inhalte, bekommen einen sehr würdigen Raum. Bei aller konzeptuellen Strenge ist der Zugang empathisch. Einige Eurer Publikationen stehen im Zusammenhang des Enzyklopädischen oder zeigen eine Affinität zur Tradition des Bilderatlas. Auch wenn das nicht der Fall ist, passt bei Euch zwischen zwei Buchdeckel ziemlich viel Welt.
Liner Notes, hrsg. von Markus Dreßen, Lina Grumm, Anne König,
Jan Wenzel, Leipzig 2009.
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Uns gefällt es, mit der Form des Buches zu arbeiten. Ulises Carrión beschreibt, dass das Buch in einem traditionellen Verständnis als Container fungierte, und das ein neuer Umgang mit dem Medium dort beginnt, wo man es als eine raum-zeitliche Sequenz versteht, eine Folge von Seiten, die zueinander in Beziehung treten. Uns interessiert in der Arbeit immer wieder auch die Frage, wie man das Buch und seine Formen anreichern kann mit Elementen aus anderen Medien. Der Film ist ins Medium Buch eingewandert, die Zeitschriftenkultur des 20. Jahrhunderts hat sich der Formenwelt des Buches eingeprägt und zur Zeit erlebt man, wie die digitale Kultur zu neuen Umgangsweisen mit diesem alten Medium führt. In gewisser Weise ist das Buch also doch ein Container - ein Container, in dem vieles Platz findet.
Hat die Tatsache, dass die Independant Publisher Szene
ausgerechnet seit 2009 so boomt mit der Globalisierung und der zu dieser Zeit
nochmals enorm gewachsenen Bedeutung des Internets zu tun?
Ja, sicher – das Netz hat andere Öffentlichkeiten geschaffen. Selbst Bücher mit einer winzigen Auflage können heute über das Internet einer kleinen Gemeinde von Enthusiasten bekannt gemacht werden. Hinzu kommen die vielen Messen, die den sozialen Aspekt, der mit dem Büchermachen verbunden ist, in den urbanen Raum zurückbringen – auf den Messen werden Waren getauscht, Erfahrungen, Geschmacksurteile. Das Nebeneinander von hunderten von Buchverlagen ist letztlich auch eine große Performance: die Gesellschaft der Büchermenschen führt sich selbst und ihre Beziehung zum Buch auf. Aber wir sind sicher: ohne das Internet, ohne einen stetigen Informationsfluss über Neuerscheinungen, neue Messen und neue Läden würde es diese Messen, die immer auch ein Fest, eine Entgrenzung darstellen, unmöglich geben.
Ihr habt höchste Ansprüche an Handwerk und praktiziert eine ungeheure formale Präzision. In den 70er Jahren war das bei vielen Akteuren, die vermutlich inhaltlich mit Euch große Übereinstimmungen haben oder gehabt hätten, nicht nur technisch schwieriger, sondern auch verpönt. Was ist seither passiert?
Wenn man Bücher macht, hat man auch eine Verantwortung gegenüber dem Medium. Wir haben oft betont, dass die Artikulation im Medium auch über die Wahl eines Papiers, über ein bestimmtes Format, oder die Art der Bindung möglich ist. Wenn man so denkt, heißt das auch, einen großen Respekt vor der handwerklichen Seite des Buches zu haben: wie ein Buch gemacht ist, ist dann ebenso wichtig, wie das, was in ihm steht. Es ist gut als Verlag Druckereien und Buchbinder zu haben, die einen ähnlichen Qualitätsanspruch wie wir besitzen. Denn Leidenschaft und Eigensinn ist oft auch eine Frage der Genauigkeit und des Differenzierungsvermögens.