Tuesday, 13 September 2016

4 Fragen an Spector Books


4 Fragen an Spector Books

Jan Wenzel im Gespräch mit Isabel Podeschwa

Art in the Times of Democracy, hrsg. von 
GfzK Leipzig 2015.
















Spector Books wurde im Jahr 2001 von Markus Dreßen, Anne König und Jan Wenzel gegründet und hat über die Jahre eine verlegerische Praxis entwickelt, bei der das Zusammenspiel von Bild, Text und Typographie mit konzeptueller Genauigkeit und Erfindungsreichtum Räume für komplexe Inhalte bereitet. Ihre Publikation "Liner Notes" aus dem Jahr 2009 hatte für viele in das Produzieren von Büchern Involvierte Manifestcharakter. 2010 initiierten sie die Messe unabhängiger Verleger in Leipzig mit dem programmatischen Titel "It's a book, it's a stage, it's a public space" und förderten die Idee des Büchermachens jenseits kalkulatorischer und inhaltlicher Kompromisse. Spector Books arbeitet mit vielen Akteuren aus dem Zusammenhang der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und gibt mittlerweile ca. 50 Publikationen im Jahr heraus, die zu zwei Dritteln außerhalb des deutschsprachigen Raums verkauft werden.

Eure publizistische Praxis ist motiviert vom Interesse an unterschiedlichsten Transformations- und Übersetzungsprozessen: Auf formaler Ebene arbeitet Ihr an einer Auflösung der Linearität des Buches. In Bezug auf künstlerische Arbeiten seid Ihr an der Emanzipation des Buches von seiner repräsentativen Dienerschaft interessiert. Im Prozess der Entwicklung setzt ihr auf ein anderes Verständnis des Zusammenwirkens von Grafikern, Autoren, Künstlern, Verlegern und entzieht diesen Beziehungen die üblichen Hierarchien. Sind das die Mittel, Lebendigkeit herzustellen, die Ihr für das Buch fordert?

Immer wieder haben wir das Büchermachen mit anderen Formen kollektiven ästhetischen Produzierens verglichen: mit dem Theater und dem Film vor allem. Wir verstehen die Arbeit an einem Buch als einen dialogischen Prozess, in dem unterschiedliche Perspektiven, unterschiedliche Erfahrungen und Ansätze zueinander in Beziehung treten. Bei dem sowjetischen Literaturwissenschaftler Michail Bachtin findet sich der Hinweis, dass es falsch sei, Bewusstsein nur im Singular zu verwenden, denn der Erkenntnishorizont weitet sich durch die Verschränkung unterschiedlicher "Bewusstseine". Bachtin arbeitet das an den dialogischen Romanen von Fjodor Michailowitsch Dostojewski heraus. Für uns ist ein Verlag der Ort eines solch dialogischen Produzierens. Und das Buch ist ein Medium, in dem sich ein solcher Arbeitsprozess artikuliert: in seiner Form wird der Aufeinanderprall dieser verschiedenen Perspektiven manifest – ablesbar. Das wäre das, was wir als Lebendigkeit bezeichnen würden.

D
ie Protagonisten Eurer Publikationen, die Inhalte, bekommen einen sehr würdigen Raum. Bei aller konzeptuellen Strenge ist der Zugang empathisch. Einige Eurer Publikationen stehen im Zusammenhang des Enzyklopädischen oder zeigen eine Affinität zur Tradition des Bilderatlas. Auch wenn das nicht der Fall ist, passt bei Euch zwischen zwei Buchdeckel ziemlich viel Welt.




Liner Notes, hrsg. von Markus Dreßen, Lina Grumm, Anne König, 
Jan Wenzel, Leipzig 2009.



Uns gefällt es, mit der Form des Buches zu arbeiten. Ulises Carrión beschreibt, dass das Buch in einem traditionellen Verständnis als Container fungierte, und das ein neuer Umgang mit dem Medium dort beginnt, wo man es als eine raum-zeitliche Sequenz versteht, eine Folge von Seiten, die zueinander in Beziehung treten. Uns interessiert in der Arbeit immer wieder auch die Frage, wie man das Buch und seine Formen anreichern kann mit Elementen aus anderen Medien. Der Film ist ins Medium Buch eingewandert, die Zeitschriftenkultur des 20. Jahrhunderts hat sich der Formenwelt des Buches eingeprägt und zur Zeit erlebt man, wie die digitale Kultur zu neuen Umgangsweisen mit diesem alten Medium führt. In gewisser Weise ist das Buch also doch ein Container - ein Container, in dem vieles Platz findet.

Hat die Tatsache, dass die Independant Publisher Szene ausgerechnet seit 2009 so boomt mit der Globalisierung und der zu dieser Zeit nochmals enorm gewachsenen Bedeutung des Internets zu tun?

Ja, sicher – das Netz hat andere Öffentlichkeiten geschaffen. Selbst Bücher mit einer winzigen Auflage können heute über das Internet einer kleinen Gemeinde von Enthusiasten bekannt gemacht werden. Hinzu kommen die vielen Messen, die den sozialen Aspekt, der mit dem Büchermachen verbunden ist, in den urbanen Raum zurückbringen – auf den Messen werden Waren getauscht, Erfahrungen, Geschmacksurteile. Das Nebeneinander von hunderten von Buchverlagen ist letztlich auch eine große Performance: die Gesellschaft der Büchermenschen führt sich selbst und ihre Beziehung zum Buch auf. Aber wir sind sicher: ohne das Internet, ohne einen stetigen Informationsfluss über Neuerscheinungen, neue Messen und neue Läden würde es diese Messen, die immer auch ein Fest, eine Entgrenzung darstellen, unmöglich geben.

Ihr habt höchste Ansprüche an Handwerk und praktiziert eine ungeheure formale Präzision. In den 70er Jahren war das bei vielen Akteuren, die vermutlich inhaltlich mit Euch große Übereinstimmungen haben oder gehabt hätten, nicht nur technisch schwieriger, sondern auch verpönt. Was ist seither passiert?

Wenn man Bücher macht, hat man auch eine Verantwortung gegenüber dem Medium. Wir haben oft betont, dass die Artikulation im Medium auch über die Wahl eines Papiers, über ein bestimmtes Format, oder die Art der Bindung möglich ist. Wenn man so denkt, heißt das auch, einen großen Respekt vor der handwerklichen Seite des Buches zu haben: wie ein Buch gemacht ist, ist dann ebenso wichtig, wie das, was in ihm steht. Es ist gut als Verlag Druckereien und Buchbinder zu haben, die einen ähnlichen Qualitätsanspruch wie wir besitzen. Denn Leidenschaft und Eigensinn ist oft auch eine Frage der Genauigkeit und des Differenzierungsvermögens.



Die Meisterhäuser in Dessau, hrsg. von Stiftung Bauhaus 
Dessau, Leipzig/Dessau 2012.


(Das Gespräch wurde im November 2014 geführt.)