Wednesday 17 October 2018


Marina Sorbello im Gespräch mit Andreas Koch, von hundert, Berlin


 Barbara Buchmaier and Andreas Koch at „based in berlin“ with a special "based in berlin" edition.



Marina Sorbello: von hundert ist ein Magazin, das in einer numerierten Auflage zweimal im Jahr erscheint. Insgesamt druckt ihr inklusive der Autoren und Freiexemplare nur 200 Stück. Ihr seid quasi von anfang an bei Friends with Books dabei und das Magazin ist ein interessantes Beispiel wie man mit den Möglichkeiten und auch den Grenzen im Self-Publishing Bereich arbeiten kann. Mich interessiert zuerst wie von hundertgestartet ist.

Andreas Koch: 2006 hatte ich die Idee eine kleine, aber kritische Zeitschrift zu gründen. Zu der Zeit gab es so etwas nicht in Berlin. Zwei Jahre zuvor hatte ich die Galerie (Koch und Kesslau) geschlossen und hatte neben meinen Tätigkeiten als Künstler und Grafiker, die mich immer begleiten, Kapazitäten frei. Es fehlte so etwas wie ein kritisches Modul. Ich hatte schon in den 1990ern für die Stadtzeitung scheinschlageine Kolumne geschrieben, außerdem ein bisschen für die Spike oder auch die Obdachlosenzeitungmotz. Damals teilte ich mir mein Büro mit Kito Nedo und wir veranstalteten im Sommer 2006 einen Workshop. Da waren Künstler und Kritiker dabei und wir kamen zu keinem richtigen Ergebnis, wozu ein Heft gut sein sollte. Kito und ich blieben übrig, Raimar Stange machte latenten Druck von außen und wir starteten mit einem reinen Review-Heft. Wir versammelten eine erste Redaktionsrunde, die dann als Gründungsredaktion noch lange im Impressum sichtbar blieb. Wir hatten jungen und ältere Autoren, Thomas Wulffen, Raimar Stange, Astrid Mania waren am Anfang dabei... Melanie Franke, meine jetzige Redaktions- und Herausgeberkollegin Barbara Buchmaier, oder auch Timo Feldhaus schrieben schon in der zweiten Ausgabe. Durch die kritische Prägung, aber auch durch die finanzielle Situation des Magazins haben sich mit der Zeit einige der Anfangsmitstreiter von der von hundertdistanziert, auch Kito Nedo hörte nach vier Ausgaben auf. Seit ungefähr acht Jahren gibt es in der Mitte des Heftes einen Themenschwerpunkt.

MS: Durch deine verschiedenen Berufe als Grafiker und Künstler, bist du nicht finanziell von von hundertabhängig...

AK: Mir war aber wichtig, dass das Magazin eine kritische und finanziell unabhängige Stimme bleibt, deswegen gibt es keine Anzeigen. Das Geheimnis ist, es gibt keine Finanzierung. Das wenige Geld kommt durch den Verkauf herein. Vielleicht lege ich noch ein, zwei hundert Euro mit drauf... Als Kosten haben wir nur den Druck (ca. 800 Euro) ansonsten, und das ist der kritische Punkt, wird niemand bezahlt. Manche sagen, wir unterlaufen damit Autorenmarkt … dass wir die Honorare kaputtmachen. Professionelle Schreiber sagen oft, sie schrieben aus Prinzip nicht ohne Geld …

MS: Was ist deine Haltung dazu?

AK: Ich finde die Kritik nicht berechtigt. Würden wir das nicht so machen, würde es von hundertnicht geben. Und damit würde etwas fehlen, finde ich. Ich finde das dieses Modell der “nicht-Finanzierung” manchmal absolut notwendig, auch meine Grafikarbeiten mache ich nicht nur immer für Geld. Meine Kunst erst recht nicht.
Schreiben ist nicht nur eine Dienstleistung, sondern auch ein kritisches Werkzeug. Wir agieren eher als Künstler, die Texte enstehen aus der Lust oder Notwendigkeit sie zu schreiben und von hundertist die geeignete Plattform, sie zu veröffentlichen oder überhaupt erst der Anlass, sie zu schreiben. Wir sind eine Nische, das ist klar. Wir verteilen keine Aufträge und auch in dieser Hinsicht wollten wir Unabhängigkeit fördern... da wir nichts bezahlen, kann ich niemandem sagen, schreib‘ bitte was über dies oder jenes… Klar können wir auch Texte ablehnen, das ist aber selten oder wir arbeiten länger gemeinsam mit dem Autoren an dem Text. Derzeit gibt es nach jeder erschienenen Ausgabe ein Redaktionstreffen, Barbara Buchmaier und ich bilden die Redaktion, zusätzlich mache ich Layout, Grafik und Vertrieb.

MS: Nochmal zum Thema Geld ... Als Autorin bin ich auch auf der Suche nach einem Modell, wie man sich von dieser Dienstleistungsmentalität unabhängig machen kann … Wenn ich den Wert dessen was ich schreibe finanziell bemesse, habe ich schon keine Lust mehr, irgendwas zu schreiben und werde stumm. Vielleicht wäre es, wie Du sagst, ein Weg, dass man die Einkommensquellen diversifiziert und nicht mehr von nur einem System, z.B. dem Kunstbetrieb, abhängig ist.

AK: Die Finanzierung des Kunstsystems ist über weite Teile genauso prekär, wie die des Journalismus. Mangelnde Finanzierung oder Miss-Finanzierung sind die Regel – genau wie auch im Musikbetrieb. Ich kann es mir leisten, für wenig oder kein Geld zu schreiben, da meine Arbeit als Grafikdesigner noch relativ gut bezahlt wird, obwohl ich auch da manchmal Sachen umsonst mache, weil ich Lust dazu habe. Diesen Konflikt gibt es immer. Das Magazin erscheint ungefähr alle sechs Monate, und nach jeder Ausgabe müssen wir wieder Kräfte sammeln.

Zuerst gibt es ein Redaktionstreffen wo die Themen festgelegt werden, danach schicke ich eine E-Mail an den Autorenverteiler, zirka 200 Adressen. Davon sind etwa 30 Autoren aktiv und melden sich. Ein Thema, das wir gerade bearbeiten ist, Kunst und Immobilien, da bleibt es merkwürdig still. Richtig investigativer Journalismus fehlt im Kunstbetrieb, da wird es aber gerade erst interessant, ist allerdings auch mehr Arbeit.

Wir drucken das Magazin digital und jedes Heft ist einzeln nummeriert, wie eine Edition. Dadurch, dass wir digital drucken, können wir auch kleinere Auflagen drucken. Ich wollte nie zu viele Hefte produzieren, weil ich wusste, Kunstmagazine verkaufen sich nicht besonders. Wir haben sechs Buchhandlungen in Berlin und jeder kriegt von mir 3 bis 10 Exemplare. Bei der Release-Party verkaufen wir maximal 50 Hefte. Dann gibt es Abos, ca. 30, und dann verkaufe ich auch hier im Büro ein paar. Manche Ausgaben sind vergriffen und nur online abrufbar.

MS: Ich frage mich, wie du die Zeit für all' das findest!

AK: Und ich bin auch Papa und spiele Golf, unterrichte manchmal... Das Thema Arbeit und Zeit ist übrigens auch ein Schwerpunkt von von hundertgewesen (Nr. 21 vom Juli 2014) … dort haben wir Statistiken veröffentlicht. Bei mir waren es damals es durchschnittlich 60 Stunden Arbeit pro Woche und weniger als sieben Stunden Schlaf… Mittlerweile arbeite ich aber nur noch 40 Stunden. Ich schaue nie Fernsehen, verliere keine Zeit in sozialen Medien... wir wohnen teilweise in eine Kommune mit 20 Erwachsene und 10 Kindern und teilen uns die Aufgaben wie z.B. das Kochen … so koche ich nur einmal die Woche mit zwei anderen Leuten. So macht es Spaß und man entspannt. Obwohl ich viel mache, habe ich eigentlich immer Zeit. Eine Woche hat ja 168 Stunden.

MS: Wie siehst Du den derzeitigen Wachstum bzw. Wandel in der Self-Publishing Branche, insbesondere im Kunstbetrieb?

AK: Wir versuchen uns gerade mit andere Self-Publisher-Mitstreitern zu organisieren und haben gemeinsam die initiative DHL (drucken heften laden) gegründet, dort erscheint die Paper News, ein kleines Informationsblatt.

Wir sind alle so ähnlich wie Projekträume organisiert und arbeiten „selbstausbeuterisch“ – deshalb haben wir uns als Magazin übrigens auch für den Projektraumpreis beworben.
Es gibt keine großen Verdienstmöglichkeiten in dieser Branche für die kleinen Verlage. Übrigens verdienen auch die größeren Verlage nicht an dem Verkauf der Bücher, sondern an dem was ihnen die Galerien, Institutionen und Künstler bezahlen... die Druckindustrie befindet sich in einem großen Wandel und mit den neuen Möglichkeiten des Digitaldrucks kann man auch in kleinere Auflagen Bücher produzieren. Ich finde es aber wichtig, auf Papier zu lesen anstatt auf einem Bildschirm. Es ist eine andere Qualität des Lesens und auch des Finden.

Zum Thema Finanzierung und Mangelfinanzierung der Self-Publishing Branche denke ich mittlerweile, dass es so etwas wie ein Grundeinkommen geben sollte. Oder aber hier speziell, ein ähnliches Modell wie die GEZ, wir brauchen ein Steuersystem, dass diese Branche und den gesamten Journalismus mittragen sollte. Wenn Großkonzerne wie Google, Facebook und Co. Steuern auf ihre Gewinne bezahlen würden, die dann wieder unter den Publizisten verteilt werden, könnte das eine gute Lösung sein, ansonsten wird der kritische und auch der literarische Journalismus aussterben. Die vierte Gewalt fehlt dann, und damit eines der wichtigsten Korrektive.

Berlin, August 2018

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